Selinas Leben mit Kunstherz – Ronald McDonald Haus Erlangen
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Selinas Leben mit Kunstherz

Wenn die elfjährige Selina zu uns ins Haus kommt, ist das für sie und ihre Eltern immer eine kleine Weltreise – denn Selina reist mit schwerem Gepäck. Im Schlepptau hat sie nämlich immer ihre große Kunstherzmaschine mit Namen IKUS. Auf IKUS klebt ein Einhornschild mit einem Spruch, der sehr typisch für Selina ist: “Esst meinen Sternenstaub, ihr Langweiler!“ Selinas ganze Geschichte erzählt sie uns gemeinsam mit ihren Eltern.

Selina mit Mama und Papa beim Toy Run der Kinderklinik
Selinas Zimmer ist mit ihren Lieblingssachen dekoriert
Bester Spruch für eine Kunstherzmaschine!

Probleme mit dem Herzen hatte Selina schon als Kleinkind. Damals wurde ein Vorhofseptumdefekt festgestellt, ein angeborener Herzfehler. Je nach Größe des Defekts wird das sauerstoffreiche Blut aus der Lunge nicht vollständig in den großen Blutkreislauf zur Versorgung der Organe gepumpt, sondern ein Teil des Blutes fließt fälschlicherweise unverbraucht durch den Defekt über den rechten Vorhof zur Lunge zurück. Die Lunge wird quasi „überflutet“, rechter Vorhof und rechte Hauptkammer vergrößern sich. Dieser Defekt muss nicht zwangsläufig verschlossen werden, sondern kann sich gerade bei Kindern „verwachsen“. So wurde auch in Selinas Fall auf einen Verschluss verzichtet, Selina wurde regelmäßig kardiologisch überwacht. 2012 dann die gute Nachricht: Selina wird als gesund eingestuft und die regelmäßigen Überwachungen sind nicht mehr notwendig.

Doch Selinas Zustand verschlechterte sich

Ende 2015 schlichen sich dann fast unbemerkt Beeinträchtigungen bei Selina ein: Treppen laufen wurde immer schwerer, sie war in der Schule unkonzentriert, nahm extrem an Gewicht zu und war allgemein immer weniger belastbar. Der erste Weg führte die Eltern zum Hausarzt. Dieser verwies im Hinblick auf Selinas Vorgeschichte an einen Kardiologen, doch einen Termin zu bekommen war fast unmöglich. Im Oktober 2016 dann der Tiefpunkt: Selina kam aus der Schule, die letzten zwei Stunden hatte sie Sport. Dort konnte sie nicht richtig mitmachen, was ihre Lehrerin sehr ärgerte. „Ich hab nur Sternchen gesehen, aber ich dachte ja, das wäre normal. Meine Lehrerin hatte geschimpft, sie dachte wohl, ich wäre zu faul“, erzählt Selina wütend, aber auch ein bisschen traurig bei der Erinnerung daran. „Sie war extrem blass und still“, erzählt Mama Natascha. Sie wusste sofort, dass mit ihrem Kind etwas Grundlegendes nicht stimmte und fuhr mit Selina ins nahe gelegene Regensburger Krankenhaus in die Notaufnahme.

Niederschmetternde Diagnose

Erste Untersuchungen brachten ein sehr schlechtes Ergebnis: Leber, Niere und Sauerstoffsättigung lagen weit unter dem Normbereich, der hinzugerufene Kardiologe konnte nach einem Ultraschall nur noch eine schwere Schädigung von Selinas Herzen feststellen. Restriktive Kardiomyopathie hieß die Diagnose, die Prognosen für Selina waren alles andere als gut. In einfachen Worten erklärt, hat Selina einen extrem verdickten und verhärteten Herzmuskel, der keine ausreichende Pumpleistung erbringen kann, um die Funktionen des Körperkreislaufs aufrecht zu erhalten.„Was eine solche Diagnose mit einem macht, das kann man gar nicht beschreiben“, erzählen Selinas Eltern Natascha und Necmi Kaya. „Klar versucht man sich zusammen zu reißen, während einem der komplette Boden unter den Füßen weggerissen wird. Unbändige Wut, Trauer, Verzweiflung … es gibt keine Worte, um diesen Zustand zu beschreiben.“Selina lag vier Tage auf der Intensivstation, ihr kleiner Köper, der in den letzten Monaten viel zu viel leisten musste, hatte eine enorme Menge an Wasser eingelagert. Insgesamt wurden 25 kg Körpergewicht an Wasser ausgeleitet! „Ich weiß das alles noch sehr gut,“ erinnert sich Selina. „Meine Elefantenbeine habe ich sie immer genannt. Die haben nur noch weh getan. Es hat einfach alles so weh getan.“

Mit Blaulicht in die Universitäts-Kinderklinik nach Erlangen

Nachdem sich Selinas Zustand ein wenig gebessert hatte, ging es sofort mit Blaulicht in die spezialisierte Universitäts-Kinderklinik nach Erlangen, wo Selina noch einmal gründlich durchgecheckt wurde. Hier wurde erst klar, wie lebensbedrohlich Selinas Zustand wirklich war. Die einzige Rettung für Selina zu diesem Zeitpunkt war der Einsatz eines Biventrikulären Unterstützungssystems – kurz BiVAD – also ein System, das sowohl die rechte als auch die linke Herzkammer unterstützt, wobei das menschliche Herz erhalten bleibt. Umgangssprachlich spricht man von einem beidseitigen Kunstherz. Dies soll Selinas Kreislauf so lange unterstützen, bis ein geeignetes Spenderherz gefunden wird.

„Zum zweiten Mal in kurzer Zeit wurden wir mit einer echten Schocknachricht konfrontiert“, so Selinas Eltern rückblickend. „Es gab nur noch zwei Optionen: unser Kind zum Sterben mit nach Hause zu nehmen oder alles zu versuchen und in eine OP einzuwilligen, die sowohl Selinas als auch unser Leben von Grund auf verändern wird.“

Unmögliche Entscheidung

„Wie soll man denn so eine Entscheidung treffen? Die OP birgt unheimliche Risiken, niemand konnte uns sagen, was danach sein wird. Wie es danach sein wird. Oder ob es ein ‘Danach‘ überhaupt noch gibt.“ Selinas Eltern hatten nicht viel Zeit zum Überlegen. „Alles um dich herum ist wie im Film. Nur im Krankenhaus ist die Realität. Wir sind durch die Stadt gegangen und dort haben die Menschen ihr normales Leben weitergelebt, sind einkaufen gegangen, haben gelacht. Das war so unwirklich.“ Doch für Selinas Eltern war sehr schnell klar, dass sie um das Leben ihrer Tochter kämpfen werden. „Wir haben die Entscheidung alle zusammengetroffen, mit Selina. Sie wusste genau, wie es um sie stand und wir wollten so offen und ehrlich wie möglich mit ihr sein. Sie hängt ja an der Maschine, nicht wir.“ Bei der OP gab es dann auch einige Komplikationen und Selinas Lungendruck stieg immens an. Doch sie schaffte es und wachte mit Kunstherz auf der Intensivstation auf. „Boah … dort war es doof. Ich kann gar nicht sagen warum, aber das war einfach eine blöde Zeit. Nur mein Pfleger Andi war voll cool“, erzählt Selina und lacht. Mit Andi hatte sie einen Deal ausgemacht: wenn sie es schafft, ihr Kunstherz einmal alleine durchs Krankenzimmer zu schieben, wird sie auf die normale Station verlegt. Dass Selina eine Kämpferin ist, beweist sie spätestens jetzt und erzählt ganz stolz: „Eine Woche später wurde ich verlegt!“

Neues Leben mit Kunstherz

Doch der eigentliche Kampf hatte gerade erst angefangen. Kunstherz heißt, immer fremdbestimmt und immer abhängig zu sein. Anfangs hatte Selina eine große Maschine, die IKUS, deren Akku maximal 20-30 Minuten hält. Eine Steckdose sollte immer in der Nähe sein. Zudem ist die Maschine unheimlich schwer und alleine fast nicht zu bewegen. An Nachhause gehen mit dieser Maschine war nicht zu denken. Um Selina mehr Freiheit zu geben und damit sie eventuell doch wieder nach Hause kann, wurde sie an eine „kleine“ Maschine angeschlossen und durfte tatsächlich im Dezember 2016 gemeinsam mit ihren Eltern nach Hause. „Die Zeit daheim war super“, erinnert sich Selina. Sie konnte sogar stundenweise wieder in die Schule gehen und ihre Freundinnen treffen. Doch bei einer Routine Herzkatheder Untersuchung kam der nächste Rückschlag: Der Lungendruck ist unverändert hoch und die kleine Maschine kann dies nicht ausgleichen. Selina muss zurück an die große Maschine – und damit zurück in die Klinik.

Zurück in ihrem „zweiten“ Zuhause

Seit Mai 2017 lebt Selina wieder auf der KE4 in der Universitäts-Kinderklinik Erlangen und ihre Eltern bei uns im Haus – ihrem zweiten Zuhause, wie alle drei einstimmig betonen. Wegen des hohen Lungendrucks kann Selina derzeit noch nicht auf die Spenderliste aufgenommen werden. „Somit haben wir gar keinen richtigen Endpunkt, auf den man hin fiebert oder hinarbeitet. Wir leben jeden Tag bewusst und gehen immer ein kleines Stück weiter. Alles andere wird die Zeit bringen,“ resümiert Familie Kaya. „Wir sind so froh, hier im Haus ein Zuhause gefunden zu haben. Diese Gemeinschaft und der Zusammenhalt geben uns unheimlich viel Kraft, Kraft, die wir im Moment so dringend brauchen. Es ist immer jemand da, wenn man reden möchte, aber man kann sich auch zurückziehen, wenn man mal einen nicht so guten Moment hat.“ Ihre Nachmittage verbringt Selina gerne bei uns im Haus und bastelt, malt oder hilft beim Backen. Derzeitige Lieblingsmotive: Einhörner und Vampire. Konkrete Zukunftspläne hat Selina auch schon: Entweder wird sie Krankenschwester, oder arbeitet bei uns im Ronald McDonald Haus.

03.07.2017

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