Früh, früher, Leonardo – Ronald McDonald Haus Sankt Augustin
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Früh, früher, Leonardo

Seit dem vierten Mai lebt Nijole Ghigliotti nun im Ronald McDonald Haus in Sankt Augustin - in einer Stadt, deren Namen sie bis zu dem Abend im Mai noch nie gehört hatte. Seitdem ist ihr Lebensmittelpunkt in der Kinderklinik nebenan, denn dort liegt ihr winzig kleiner Sohn Leonardo.

Leonardo ist ein kleiner Kämpfer!
Leonardo brachte nur 535 Gramm auf die Babywaage.
In der 25. SSW kam Leonardo viel früher als geplant auf die Welt.

Hier auf dem Klinikgelände haben sie und ihr Mann viele bange Stunden verbracht. Familie Ghigliotti hätte Leonardo fast verloren. Leonardo, dieses kleine Menschenwesen, das in der 25. Schwangerschaftswoche per Notkaiserschnitt von den Ärzten geholt werden musste, um sein Leben und das Leben der Mutter zu retten. Denn für beide war die Situation lebensbedrohlich, als die Plazenta begann, den Körper zu vergiften. HELLP Syndrom nennen das die Fachärzte: HELLP steht für Hämolyse (Zerfall von Blutbestandteilen), Elevated Liver enzymes (erhöhte Leberwerte) und Low Platelets (geringe Anzahl an Blutplättchen).

Nijoles Ghigliottis hoher Blutdruck fiel in der Schwangerschaft früh auf, daher stand sie unter engmaschiger ärztlicher Beobachtung. Doch als sie plötzlich massivste Bauchschmerzen erlitt, mussten die Ärztinnen und Ärzte sofort eingreifen. Sie zögerten nicht und holten Leonardo in der 25. Schwangerschaftswoche sicher aus dem Mutterleib. Leonardo brachte nur 535 Gramm auf die Babywaage. Sie war selbst überrascht: >So klein sieht er gar nicht aus<, war ihr erster Gedanke, als sie ihren Sohn eingehüllt in einer Folie im Brutkasten sah, berichtet die Mutter. Erst am nächsten Tag realisierte sie, wie dünn seine Ärmchen tatsächlich waren, wie jeder Knochen unter der dünnen Haut herausragte. >Der Anblick war dann doch ein Schock<, erzählt die Mama. Aber sein Zustand war stabil. Das war die Hauptsache!

Mit ihrer unerschütterlich positiven Lebenseinstellung war die 40-Jährige guter Dinge, denn auch ihr erstes Kind, ihr Sohn Luca, war als Frühchen per Notkaiserschnitt geboren worden und bestens gediehen. Sie kannte das alles schon, sogar die Intensivstation im Koblenzer Krankenhaus. Leonardo lag im gleichen Raum wie Luca, der fünf Jahre zuvor in der 34. SSW mit 1.450 Gramm auf die Welt kam. Nach 20 Tagen durfte er damals das Krankenhaus verlassen und die Welt entdecken – alles war gut verlaufen. Luca entwickelte sich zu einem heute 5-jährigen, lebhaften und neugierigen Kindergartenkind, das am liebsten seiner Leidenschaft für Parkhäuser und Aufzugfahren nachgeht. Daher waren für ihn auch die ersten Tage im architektonisch futuristischen Ronald McDonald Haus in Sankt Augustin und die Besuche im nah gelegenen topmodernen Einkaufszentrum mit den neu gebauten mehrstöckigen Parkhäusern und den vielen Aufzügen richtig aufregend – ein echtes Erlebnis. Das Auf und Ab, fast wie eine Achterbahnfahrt, einfach herrlich, findet Luca.

Ganz anders erging es den Eltern mit den Aufs und Abs im Klinikalltag. Tage, an denen Nijole  Ghigliotti zu ihrem Leonardo kommt und die Ärzte ihr nichts Neues mitteilen, sind die besten Tage, denn dann ist alles gut. Das ganze Drama begann, als die Ärzte Tage nach der Geburt in Koblenz feststellten, dass Leonardo sofort in Sankt Augustin operiert werden müsse, da seine Lebensfunktionen nicht mehr stabil waren. Es gab Probleme mit dem Darm. Hals über Kopf fuhren die Eltern nach Sankt Augustin. Noch in der Nacht operierte das Ärzteteam das kleine Bündel Mensch und rettete damit sein Leben. Die Eltern saßen unterdessen die halbe Nacht im Wartezimmer der Intensivstation. >Wir haben gewartet, geweint, gebetet<, erinnert sich die Mutter. >Wir waren völlig fertig<, sagt sie. Und nach der OP, völlig mitgenommen, wussten sie gar nicht wohin.

Eine Klinikmitarbeiterin erzählte, dass sie zum RMH gehen könnten und erklärte, dass es dort eine Unterkunftsmöglichkeit für Eltern schwer kranker Kinder gibt. Sie verbrachten nachts noch einige Zeit im Auto und freuten sich dann, als Sabine, die Hausleitung, am frühen Morgen die Türen des Hauses öffnete. Es war eine so große Erleichterung, als Sabine sie herzlich empfing, ihnen einen heißen Kaffee servierte und die beiden mit frisch gebackenen Croissants versorgte. Sabine weiß, was in diesen Situationen am meisten hilft: Zuhören. Nachdem die besorgten Eltern berichtet hatten, was nachts passiert war, >ordnete< sie an, dass sie erstmal ein bisschen schlafen müssten. Die Formalitäten erledigten sie später. Zuerst bekamen Sie ein Bett und eine Notausstattung mit Hygieneartikeln, denn sie hatten natürlich rein gar nichts dabei – nur das, was sie auf ihrer Haut trugen. Die nächtliche Operation des kleinen Leonardo in Sankt Augustin war schließlich alles andere als geplant.

Anders geplant war auch der Geburtstermin und vermutlich wäre Leonardo sehr viel lieber einfach gemütlich weiter herangewachsen im Mutterleib. Es ist unglaublich, unter welch schweren Startbedingungen Leonardo quasi notgedrungen ins Leben >geschmissen< wurde. Der kleine Racker wog nur ein Drittel von dem, was sein Bruder als Frühchen einst an Fliegengewicht mitbrachte. Leonardo hatte nur 25 Wochen sicher im Bauch seiner Mama verbringen können und wurde bereits am 27. April 2021 per Notkaiserschnitt geboren. An dem ursprünglich errechneten Geburtstermin, dem 9. August 2021, hatte Leonardo bereits mehrere Inkubatoren in Intensivstationen, eine Krankenwagenfahrt, OPs, vier Monate Krankenhausatmosphäre, etliche Untersuchungen, aber auch schöne innige Momente mit seiner Familie, das Kuscheln mit seiner Mama und viele wundervolle kleine medizinische Erfolge hinter sich. Nie vergessen wird seine Mama den Moment als alle Ärztinnen und Ärzte, Krankenpfleger und -schwestern außer sich vor Freude auf der Station feierten, dass Leonardo seinen ersten Stuhlgang hatte. Die OP hatte funktioniert! Was für ein Erfolg! Viele weitere Schritte folgten: Fortschritte und Rückschläge.

Besonders schwer war es für Nijole Ghigliotti in der ersten Zeit, als Luca zuhause mit seiner Oma war, die extra aus Sizilien angereist war. Bis zur Geburt Leonardos war Luca noch nie über Nacht getrennt von seinen Eltern gewesen. Daher erschütterte die Situation auch die Bruderseele. Manchmal, wenn Nijole Ghigliotti von Leonardo aus der Kinderklinik ins Elternhaus zurückkam, hatte sie 20 Nachrichten von zuhause auf ihrem Handy und Angst, es wäre etwas passiert. Dabei war es >nur< Luca, der solche Sehnsucht nach seiner Mama hatte. Nun lebt er die meiste Zeit mit ihr im Elternhaus. Das erleichtert viel für die Mama und lässt weniger Zeit für Grübeleien. Das Elternhaus schaffte so einfach und wirksam Zeit und Raum für ihre kleine Familie.

Nijole Ghigliotti strahlt dabei erstaunlich viel Zuversicht aus. Nur eine Sorge sitzt wirklich tief: Eigentlich müsste sie zuhause ein paar Dinge regeln und eigene Arzttermine wahrnehmen. Aber sie hat Angst diesen Ort, das RMH in Sankt Augustin und Leonardo in der Kinderklinik nebenan zurückzulassen. Das klingt für Menschen, die ihre Geschichte nicht kennen, möglicherweise etwas übertrieben. Aber wenn sie erzählt, wie es dazu kam, wird es mehr als verständlich: Am Tag nach ihrer Ankunft im RMH fragten sie und ihr Mann die Ärzte, ob es möglich wäre, kurz nach Hause zu fahren, um ihren Sohn Luca in den Arm zu nehmen und ein paar Wechselklamotten in Koblenz abzuholen. Die Ärzte sahen kein Problem. Doch als die Eltern gerade ihre Wohnungstür öffneten, klingelte ihr Handy, ein Arzt am Telefon: >Sind Sie noch hier? Können Sie schnell kommen? Leonardo geht es gar nicht gut!< Unerwartet hatte sich sein Zustand dramatisch verschlechtert, er schwebte in akuter Lebensgefahr. Keine Zeit für Erklärungen für die Schwiegermama aus Sizilien – Wie sollten sie Luca erklären, was los war? Sie hatten selbst keine Worte für das Unvorstellbare, das Unaussprechliche. Die Eltern machten auf dem Absatz kehrt und rasten voller Panik eventuell zu spät zu kommend über die Autobahn. Sie kassierten einige Blitzer und rasten zurück zu Leonardo, zu ihrem zähen Bürschchen, das zur gleichen Zeit unermüdlich gegen Nieren- und Lungenversagen kämpfte und stärker war, als jedes Gerät auf der Intensivstation vermuten ließ. Er hat es geschafft! Sie kamen nicht zu spät. Und Leonardo lebt.

Seitdem pendelt Nijole Ghigliotti nur noch zwischen RMH und Kinderklinik und wagt sich nur wenige Meter von Leonardo weg. Selbst mit Leonardo im Kinderwagen bleibt sie immer in sicherem Abstand auf dem Klinikgelände. Dabei strahlt die zweifache Mutter von zwei Frühchen nicht nur Zuversicht, sondern auch echtes Vertrauen aus! Vertrauen ins Leben und auch in die Ärztinnen und Ärzte, die ihren kleinen Leonardo bis heute großgezogen haben. Nijole Ghiliotti erzählt, dass sie das Leben nun mit neuen Augen sieht. Sie ist für alles dankbar in ihrem Leben, was gut ist. Selbst die kleinsten Dinge nimmt sie nicht selbstverständlich. Sie konzentriert sich auf den Moment. >Heute sind wir hier, wir haben ein Dach über dem Kopf, wir haben etwas zu Essen, unser erstes Kind ist gesund und dem anderen geht es gut – heute. Was morgen ist, das können wir nicht wissen. Heute ist es gut.<

Wir wünschen der ganzen Familie von Herzen alles, alles Gute!

08.09.21