Jakobs Herzgeschichte – Ronald McDonald Haus Homburg
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Jakobs Herzgeschichte

Eine Geschichte mit Hochs und Tiefs, Hoffnung, Tränen und ganz vielen Glücksmomenten.

>Manchmal sind es die kleinsten Dinge, welche den meisten Platz in deinem Herzen einnehmen< (Winnie Puuh der Bär)

>Wenn wir unsere bisherige Herzgeschichte erzählen, gibt es immer verschiedene Erzählweisen. Es gibt eine recht nüchterne, medizinische Erzählung, die die Ausgangslage, den Status Quo und eine mögliche Zukunft beschreibt. Sie drückt sich in Arztberichten, Operationsdokumentationen und Wahrscheinlichkeiten aus. Die andere Erzählung spiegelt die Achterbahnfahrt der Gefühle zwischen Angst und Zuversicht wider und tritt besonders in zwischenmenschlichen Begegnungen zutage. Beide Erzählweisen haben ihre Berechtigung, beide wollen wir erzählen.

Jakob wurde Anfang 2015 geboren. In der Schwangerschaft war bei den Regeluntersuchungen nichts Ungewöhnliches aufgefallen, außer, dass er sich bis zum Geburtstermin einfach nicht drehen wollte. Dank der Unterstützung einer erfahrenen Hebamme und eines tiefenentspannten Arztes kam Jakob trotz Beckenendlage natürlich auf die Welt: rosig, gesund, durstig. Die U1 war unauffällig. Bei der U2 an Tag fünf fiel ein lautes Herzgeräusch auf. Die weitergehende Untersuchung in der Kinderklinik brachte die Diagnose: Fallot’sche Tetralogie in einer mittelschweren Ausprägung mit valvulärer und supravalvulärer Pulmonalstenose – eins von 3600 Kinder kommt damit zur Welt. Jakob wurde stationär aufgenommen und mit zwei Sanitätern, Kinderarzt und Krankenschwester ins nächstgelegene Uniklinikum mit Kinderkardiologie gefahren. Dort blieb er eine Woche zur Überwachung und Einstellung auf Beta-Blocker. Jakob brachte auch beim Stillen eine 100%-ige Sauerstoffsättigung und wurde daher zur ambulanten Betreuung nach Hause entlassen.

Die Überwachung erfolgte daheim regelmäßig per Monitor und durch einen niedergelassenen Kinderkardiologen. Mit fünf Monaten wurde Jakobs Fallot im Sommer 2015 in einem spezialisierten Kinderherzzentrum operativ korrigiert. Die Ausprägungsbrandbreite Fallot’scher Tetralogien ist groß und auch die letztlich ausgeführten operativen Handlungen sind vielfältig und abhängig vom Operateur. Laienhaft ausgedrückt wurde Jakob so operiert, dass die überreitende Aorta der linken Herzkammer zugeordnet und der Ventrikel Septum Defekt mit einem Dacronpatch geschlossen wurde. Aus gegerbter Herzbeutelhaut wurde ein drittes Segel für die Pulmonalklappe gebastelt, Muskel aus dem Ring zur Pulmonalarterie abgetragen, um den Durchgang zu vergrößern, und auch der Zugang zur Pulmonalarterie selbst durch Einsetzen von gegerbter Herzbeutelhaut erweitert. Die Operation verlief gut, die Intensivphase auch. Der anfangs notwendige externe Herzschrittmacher war nur wenige Tage nötig. Auch das anfangs gegebene Morphium konnte zugunsten sanfterer Mittel zügig abgesetzt werden. Acht Tage nach OP waren wir wieder auf dem Heimweg. Über ein halbes Jahr wurden die noch notwendigen post-operativen Medikamente ausgeschlichen. Die vorher sehr zarten Arterien sind schön gewachsen.

Seit nunmehr 6 Jahren ist Jakob ohne Medikamente und in (meist halbjährlicher) kardiologischer Betreuung. Die Pulmonalklappe funktioniert schon lange nicht mehr und er hat eine Insuffizienz dritten Grades. Durch den starken Rückfluss kann der Herzmuskel ausleiern. Da Jakob aber mit einer Restenge am Durchgang zur Pulmonalaterie operiert wurde, muss sein Herzmuskel mehr Druck aufbauen, um das Blut in die Lunge zu bringen. Dadurch könnte er verdicken. Beides, ausleiern und verdicken, wären Indikationen für einen erneuten Eingriff. Dieser wird sicher kommen, aber im Moment halten sich „Pest und Cholera“ die Waage. Oder anders ausgedrückt: die Situation im Herzen ist eigentlich nicht gut und kann höchstens schlechter werden, aber Jakob Herz kommt mit der Situation momentan passabel zurecht.

Im Frühjahr 2017 stand einmal die Diagnose Lungenhochdruck im Raum, da ein Echowert immer aus der Reihe fiel. Ein Herzkatheter konnte diese Vermutung aber entkräften. Jetzt geht Jakob zur Schule und entwickelt sich trotz der Schwere seiner Beeinträchtigung für ein Herzkind angemessen.

Das ist die eine nüchterne, medizinische Erzählung. Sie könnte noch mit vielen Werten und Daten gespickt werden. Doch diese sind individuell, selbst innerhalb eines Krankheitsbildes.

Viel allgemeiner und wertvoller sind die persönlichen Erfahrungen, die sich rund um die nüchterne, medizinische Erzählung für uns als Eltern, für unser Herzkind und das Geschwisterkind ergeben haben. Dies ist die zweite Art, die eigene Geschichte zu erzählen. Durch die gut geglückte Entbindung und das schön gestartete Wochenbett, schlug die Diagnose an Tag fünf ein wie eine Bombe und riss zunächst ein schwarzes Loch mit Ungewissheit, überbordender Angst, Hilflosigkeit, Überforderung und an manchen Tagen dem Aussetzen des vernünftigen Denkens. Aber seitdem gab es so viele Begegnungen, die uns geholfen haben, aus diesem schwarzen Loch herauszukommen. Für diesen Erfahrungsbericht nennen wir sie so, wie sie uns im Laufe der Jahre begegnet sind und wie wir uns an sie erinnern.

Da war unsere Hebamme, die einen klaren Kopf behielt, und sich telefonisch darum bemühte, dass ich als Mutter gesund blieb und trotz großer Turbulenzen weder eine Brustentzündung oder Milchstau entwickelte, noch völlig in die Knie ging. Sie nahm Anteil und war einfach da. Und das nicht nur akut danach im Wochenbett. Sie begleitete uns bis zur Operation mit Einfühlungsvermögen und dem nötigen Abstand.

Oder der aufnehmende Arzt in der Uniklinik, der uns einfühlsam auch am Abend der Einweisung die Situation erklärte und der Krankheit einen Namen gab. Damit nahm er uns den ersten Schrecken und gab uns das Gefühl, dass es gerade nicht akut kritisch und Jakob in guten Händen ist. Um den kleinsten Zwerg in der Station bemühte sich rührend eine junge Kinderkrankenschwester. Sie trug Jakob gerne nach dem Fläschchen auf dem Arm durch die Gegend und herzte ihn, obwohl er wohl auch im Bettchen geschlafen hätte. Sie war herzlich und darum bemüht, uns allen zu helfen, mit der Krankenhauswelt zurecht zu kommen.

Ein Arzt nahm sich sehr viel Zeit, um uns den Herzfehler zu erläutern. Er schleppte sogar das Modell eines Herzens an, um uns recht plastisch aufzuklären. Gleich zu Beginn sagte er: >Ihr Sohn hat nicht den schlimmsten Herzfehler, den man heute haben kann.< Zunächst waren wir konsterniert, aber er machte deutlich, dass er mittlerweile erwachsene Patienten habe, darunter auch eine Frau, die sogar ein Kind bekommen habe – trotz ihres Fallots. Er versuchte uns, so viele Informationen wie möglich zur Verfügung zu stellen. So riet er uns, für die Operation eine spezialisierte Kinderherzklinik aufzusuchen. Chirurgie sei, wenn auch sehr filigran, Handarbeit und was man häufiger mache, könne man besser. Damit gab er uns eine ehrliche Orientierung in einer uns neuen Welt. Diesen Vertrauensvorschuss wussten wir sehr zu schätzen und brachten ihn nach der OP auch kurz auf den neuesten Stand. Er wiederum schätzte, wie sehr wir uns mittlerweile auskannten.

Die Mitarbeiter im Ronald McDonald Haus, sowohl an der Uniklinik wie auch dem Herzzentrum, waren unglaublich hilfsbereit. Sie und die rührigen Ehrenamtlichen vor Ort unterstützten uns nach Kräften, mit der neuen Situation klar zu kommen. Sie standen mit Rat und Tat, Kuchen und Waffeln und manchmal nur mit einem einfachen, aber ehrlich gemeinten >Wie geht es Ihnen?< und ihrem Zuhören zur Seite.

Auch die psychologische Betreuerin der Uniklinik tat ihren Teil. In dem Fall sogar weniger durch Gespräche, sondern durch die Beschaffung eines komfortableren Camping-Klappstuhls, auf dem ich das Kind besser stillen und begleiten konnte als auf den vorhandenen harten Holzstühlen. Eine kleine Geste in dem großen Krankenhausbetrieb, die unsere Zeit auf Station so viel besser machte.

Der niedergelassene Kinderkardiologe, der, ohne den auch häufig anzutreffenden Habitus des spezialisierten Mediziners, völlig unaufgeregt in Funktionskleidung daherkommt und für die kleinen Kinderherzen brennt. Er macht uns nie Versprechungen, arbeitet aber sehr genau. Aber auch seine Mitarbeiterinnen sind besonders rührig. So haben sie sogar einen kleinen Kuscheltier-Affen für Jakobs Operations-Wunsch-Kiste beigesteuert, der noch heute eins seiner liebsten Kuscheltiere ist.

Uns beeindruckte der Chefarzt des Kinderherzzentrums. Beim ersten Telefonat, wo wir direkt mit dem Problem starten wollten, stieg er nicht darauf ein, sondern sagte: >Erst einmal herzlichen Glückwunsch zur Geburt Ihres Sohnes!<, und rückte damit auch für uns wieder das Kind und nicht ein Problem ins Zentrum unserer Wahrnehmung. Er operierte unseren Sohn, auch im Rückblick, so passend und war sich nicht zu schade, uns Eltern im Nachgang über den Eingriff eingehend zu informieren.

Die fremde Frau im Park, die auf unserem letzten Familienspaziergang vor der Einweisung ins Herzzentrum trafen. Sie fragte, ob wir zum Urlaub da sein. Auf unseren kurzen Bericht, warum wir uns in der Stadt aufhalten, lächelte sie, zog den Ausschnitt ihres T-Shirts ein bisschen herunter und legte so die Narbe ihrer eigenen Herz-OP auf dem Brustkorb frei. Unwissentlich machte sie uns damit so viel Mut für die kommenden Tage. Einfach so – aus menschlicher Zugewandtheit.

Unsere Familie und Freunde, die natürlich versucht haben, uns so gut es geht zu begleiten, als unsere Nerven gespannt waren oder blank lagen. Insbesondere unsere Eltern und Geschwister, die uns im Krankenhaus besuchten und damit zeigten: Ihr seid nicht allein! Sie alle haben vor der Operation ihre persönlichen Wünsche für Jakob aufgeschrieben, warum es sich lohnt, diese schwere Operation durchzumachen und warum das Leben lebenswert ist. Sie haben gemalt, geschrieben und kleine Geschenke eingereicht. Sie alle haben wir in eine Kiste getan, verschnürt und mit in den OP gegeben. Sie stand in der ganzen Zeit nie weit weg. Jakob wird sich all das anschauen können, wenn er älter ist. Selbst wir kennen den Inhalt nicht. Uns hat es bewegt, wie viele Einreichungen wir bekommen haben. Auch wir selbst als Eltern haben etwas eingereicht. Ganz persönlich, nur für Jakob. Wir haben gelernt, dass wir so dankbar sein dürfen, dass ein Herzfehler wie der Fallot heutzutage ganz gut operiert werden kann und die Chancen für Jakob, das Erwachsenenalter zu erreichen, sehr gut stehen. 50 Jahre früher und es hätte wenig Möglichkeiten gegeben Jakobs Leben zu retten, weil der Fehler zu komplex ist.

Wir sind den Intensivpflegerinnen und –pflegern und Ärztinnen und Ärzten der Intensivstation sehr dankbar für ihren Einsatz. Immerhin sind die Chancen dort durchaus höher, auch Patienten zu verlieren. Dem Arzt, der erkannte, dass Jakob, nach vorher fünf 200ml Fläschchen pro Tag, bei erlaubten 30ml pro Mahlzeit, einfach tierisch Hunger nach der Operation hatte und deshalb so unruhig war. Er sagte ganz pragmatisch: >Geben Sie ihm mal mehr, er soll ja nicht hungern. Wir schauen einfach, wie es geht.<, und damit unserem Sohn die Lage erleichterte.

Der Krankenschwester auf der Normalstation, die es trotz der vielen Patienten für Teil ihrer Aufgabe hielt, dass Kind selbst zu füttern, um sich von Jakob Verfassung ein richtiges Bild zu machen.

Unserem älteren Sohn, damals nicht mal zwei Jahre alt, der uns durch seine normalen Bedürfnisse als nicht krankes, hospitalisiertes Kind, davor bewahrte, schockstarr wie die Hasen vor der Schlange beide tagaus tagein gemeinsam am Bett unseres Kindes zu sitzen. Er brauchte auch Liebe und Zuwendung, Struktur, einen Tagesablauf, Essen und gemeinsames Spielen. Das war zwar anstrengend, aber es hat uns auch in der Realität gehalten und nicht zugelassen, dass die Welt nur noch aus Krankenhaus, Monitoren und Desinfektionsmittel besteht.

Es tat auch so gut, sich mit den anderen Eltern im Ronald McDonald Haus auszutauschen. Alle dort verbindet, dass jede und jeder das Gefühl kennt, wie es ist, sein Kind für eine OP abzugeben. Da brauchte es keine Worte, da war nur Verständnis. Sie alle hatten harte Tage hinter sich und kamen müde und abgeschlagen zurück. Aber am Abend saßen wir zusammen, kochten, tranken, sprachen über ganz andere Themen und lachten. Ja, obwohl unsere Kinder auf der Intensivstation lagen, lachten wir von Herzen und es gab uns allen Kraft. Kraft, die wir am nächsten Tag wieder brauchten, die wir weitergeben konnten.

Sobald ein Termin für die Operation bekannt ist, teilt man seine Kräfte ein. Jeden Tag, den sich eine Operation dann verzögert, läuft man ganz dünnhäutig nur noch auf Notstrom. Außerdem verarbeitet jedes Elternteil seine Angst und seinen Druck anders. Der eine ist immer wieder sehr emotional, der andere hält so lange die Normalität hoch, bis die letzte Nacht vor der OP gekommen ist. Ist die Operation dann gut verlaufen, hat man erstmal das Gefühl zu schweben. Dann mobilisiert man alle Kräfte, um gegen die Unwägbarkeiten einer Intensivzeit gewappnet zu sein. Glücklich fährt man heim. Und dann: setzt man hart auf, denn es ist keine Kraft mehr da.

Wir sind glücklich, dass wir Freunde hatten, die mit uns geheult haben. Die uns in den Arm genommen und uns durch ihre Anwesenheit geholfen haben. Wir sind der Mitarbeiterin in der Krankenkasse so dankbar, dass sie unseren Hilfebedarf erkannte und ohne Diskussion und langes Trara eine familienorientierte Reha bewilligte. Wie wir erfuhren, eine Seltenheit. Und auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Reha in Tannheim sind wir für ihren Einsatz zu Dank verpflichtet. Sie versuchen, individuell zu helfen. Sie haben uns als Elternpaar geholfen, uns gegenseitig und unsere Situation besser zu verstehen. Auch haben Sie uns gezeigt, wie wir uns und unsere Kinder (Patienten und Geschwister) stärken können, für alles, was da noch kommt.

Besonders bewegt aber haben uns auch dort die Begegnungen mit anderen Eltern von Herzkindern und Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler, die von ihren Erfahrungen berichteten. Besonders in Erinnerung ist uns ein junger Mann geblieben, der schon viele Operationen hinter sich hatte und trotzdem so viel Lebenshunger und Tatendrang in sich trug. Beindruckend und Mut machend!

Ganz besonders dankbar sind wir unserem Sohn Jakob, der uns das alles „eingebrockt“ hat. Er ist trotz seines jungen Alters gleichzeitig so pragmatisch und verständig in Bezug auf all die Untersuchungen, die er über sich ergehen lassen muss. Er ist nicht zimperlich und hat ein gutes Gespür dafür, wann seine Mitarbeit von Nöten ist. Gleichzeitig besitzt er das notwendige Vertrauen, dass er nicht allein ist. Erst kürzlich zeigte er einem älteren Bekannten, der in seinem Leben ebenfalls einige schlimme Operationen hatte, im Schwimmbad seine Narbe. >Schau, das ist meine Narbe.< Für ihn ist seine Geschichte nicht etwas, was ihm böse mitgespielt hat, sondern sein Leben, seine Aufgabe. Die Narbe gehört zu ihm und wir begreifen es als Eltern als unsere Aufgabe, ihm für alles weitere eine Stütze zu sein, auf die er bauen kann. Behutsam, aber ehrlich. Ungeschönt, aber verlässlich.

Oft werden wir gefragt, wie wir das alles aushalten, auch weil noch weitere Operationen nötig sein werden und quasi das Damokles-Schwert über Jakob hängt. Aber blickt man zurück, haben wir auch in dunklen Stunden so viel Gutes erlebt. Darin ist die Überzeugung gewachsen, dass das Leben lebenswert ist und dass es maßgeblich auch davon abhängt, was wir sehen wollen. Typischerweise beenden wir unsere Geschichte immer mit dem Satz: Unsere Erfahrungen wünschen wir keinem Elternteil. Aber sie können uns auch nicht mehr genommen werden. Wir alle sind daran gewachsen. Darauf können wir stolz sein und blicken deshalb zuversichtlich in die Zukunft. Es ist ein Geschenk, Jakob auf seinem Weg begleiten zu dürfen.<

04. April 2023

Anmerkung: Die Geschichte von Jakob wurde im Herzkind Magazin veröffentlicht.

Herzlichen Dank an die Familie von Jakob, dass wir die Mutmachgeschichte hier auch veröffentlichen dürfen.